Sonntag, 30. September 2007

Back on track

18.06 Uhr: So, da bin ich wieder. Womit ich sagen will: ich bin wieder voll da. Das merkwürdige am Leiden ist ja, dass man sich dabei immer so fühlt, als ob dieser Zustand schon ewig andaure und nun auch nie wieder verschwinden wird. Darauf falle zumindest ich immer wieder herein.

Worum es aber eigentlich gehen soll, bin ausnahmsweise mal nicht ich, sondern ihr da draußen. Hach, ich spüre es schon, wie ich ungelenk werde, wie sich die Worte verkeilen, aber: Vielen Dank. Sowohl fürs Lesen, als auch fürs Feedbackgeben. Ich habe nun das Gefühl, das viele unsichtbare Augen wohlmeinend auf mir ruhen und ich spüre all die gedrückten Daumen. So ganz allein bin ich nicht mit dieser Scheiße und das ist ein Gefühl, das in Worte zu fassen mich gerade überfordert. Leider fehlen mir (Internet-)Zeit und Muße auf jeden Kommentar bzw. Eintrag im einzelnen einzugehen, aber das werde ich nachholen, sobald ich wieder zu Hause bin.

So, jetzt aber mal genug der Rührseligkeiten! Ich habe einen Ruf zu verlieren, verdammt!

Bis später.

[Songtitel Ihrer Wahl einsetzen]

15.03 Uhr: Eine welke Hand reckt sich zur Tastatur. Die welke Hand schreibt:

Mein Magen tut so übel weh,

ich glaub, dass ich gleich kübeln geh'.

Weltgeschichte schreitet durch den Raum.

Sunday, bloody sunday

"...tired of being tired..."
(Manic Street Preachers)

10.17 Uhr: Chemo, Tag 4. Ich weiß ja, das dies hier alles zu meinem Besten ist. Trotzdem komme ich mir vor, als sei ich Teil eines fürchterlichen, perversen Experiments. Allein die Schläuche an meinem Hals, die ständig fließenden, teilweise kryptisch betitelten Flüssigkeiten, lassen ganz unangenehme Erinnerungen an alte Frankensteinfilme aufkommen. Ich frage es laut und mit zitternder Stimme: hat der Mensch das Recht, so in den Lauf der Natur einzugreifen...?! Mein Geist wehrt sich sehr dagegen, dies hier als Heilkunst anzusehen. Eher ist das ganze eine...

10.30 Uhr: ...riesige Sauerei, wollte ich schreiben, aber dann kam der diensthabende Arzt, um den ersten Chemobeutel für heute anzuhängen. Niedergeschlagen habe ich ihn nicht. Ich glaube, ich habe mich sogar bedankt.

Samstag, 29. September 2007

Signs

"Hinein in einen Wald aus Zeichen..."
(Tocotronic)

19.37 Uhr: Müdigkeit ist gar kein Ausdruck.Mein Gehirn ist schlaff, meine Gedanken läppisch, meine Seele abgegrast. Aber ich bin hier und ich sende Zeichen. Zeichen, dass ich immerhin am Leben bin. Mir ist übrigens durchaus nicht entgangen, dass auch einige Menschen mein Blog aufgesucht haben, die keine Ahnung von diesem Wirrkkopf haben, der seine Nachrichten in den Cyberspace schickt. Ich muss wohl ein paar Infos nachreichen.

Wie? Ach was, jetzt doch nicht! Wollt ihr mich umbringen?!

On repeat

16.38 Uhr: Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben? Wie schaffe ich es bloß, die Eintönigkeit des Klinikalltags zu beschreiben?

Freitag, 28. September 2007

Hello again

22.33 Uhr: Mein alter -hicks- Freund, der Chemoschluckauf ist -hicks- wieder da. Das ist eine -hicks- tatsächlich häufiger auftretende Nebenwirkung -hicks- die von den meisten Außen-hicks-stehenden als Kuriosum belächelt wird. Wenn die -hicks- wüßten wie sehr das nervt. Da gehe -hicks- ich fast schon lieber kotzen.

Broken thoughts

"Es liegt ein Grauschleier über der Stadt,
den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat."
(Fehlfarben)

19.50 Uhr: Scheint so, als wäre ich nun vollständig in der Chemo angekommen. Das bedeutet, dass ich nicht nur Chemo kriege, sondern mich auch nach Chemo fühle. Damit meine ich keine Übelkeit, von der bin ich bislang verschont geblieben. Es ist bloß so, dass nun auch meine Emotionen durchseucht sind von diesem Gift. Gesunden Menschen dies zu beschreiben ist nicht leicht. Man könnte es als eine feindliche Übernahme der eigenen Seele bezeichnen, auch wenn das verschwurbelt klingt. Ich gehöre mir einfach nicht mehr so selbst, wie ich es gerne hätte. Dies ist ein Aspekt, der in der Chemotherapie so fundamental wie unterschätzt ist und der außerdem einmal mehr zeigt, wie unsinnig die Trennung von Physis und Psyche eigentlich ist. Verstärkend kommt noch die Erfahrung hinzu, an einen so riesigen Betrieb wie diese Klinik gekettet zu sein. Das eigene Ich scheint sich in diesem System aufzulösen.

Außerdem wird mir jetzt auch klar, welches Risiko ich hiermit, mit diesem Blog eingehe. Wie hardcore das ganze ist. Ich hätte schon gerne meine Selbstdarstellung, die natürlich auch etwas mit Inszenierung zu tun hat, vollständig in meiner eigenen Hand. Das kann ich jetzt nicht mehr garantieren. Ich merke, wie dünn die Grenze zu einem verbalen Amoklauf ist. Und doch schreibe ich weiter. Es wird sicher von euch unterschätzt, wie wichtig und lebenserhaltend dies hier für mich ist.

Ich möchte dann auch mit einer positiven Neuigkeit schließen: mein neuer Nachbar ist wirklich sehr nett. Ein Intellektueller. Eine Wohltat für mein Hirn. Stoßen wir also auf ihn an! Für mich aber bitte etwas Alkoholfreies.

Hospital food

"Das hört sich schlimm an, ist es aber nicht ganz,
denn zum Glück gibt es die räumliche Distanz."
(Funny van Dannen)

12.25 Uhr
Frage: Was hilft Drogenbossen dabei, ohne größere Gewissenbisse ihrer Arbeit nachzugehen?
Antwort: Die räumliche Distanz! Sie müssen nicht sehen, wie der Endverbraucher verelendet und verreckt.

F: Was hilft Waffenhändlern dabei, auch weiterhin mit Waffen zu handeln?
A: Wieder die räumliche Distanz. Sie werden es nicht mitkriegen, wie der Endverbraucher seine Feinde in Fetzen fliegen lässt.

F: Und was hilft den Krankenhausköchen, weiter ihrem schändlichen Tun nachzugehen?
A: Richtig! Die räumliche Distanz natürlich. Denn sie sind nicht dabei, wenn die Mahlzeiten gleich reihenweise wieder aus den geschundenen Leibern hinausgewürgt werden.

Ich hätte gute Lust, mal eben loszugehen und denen direkt vor die Türe, ach was - gleich in die Töpfe zu kotzen. Auf dass dieses Problem endlich gelöst ist. Für etwas weniger Schmerz in dieser Welt (c)!

Viva Hate

"Backpfeifengesicht,
ich hab' ja wirklich schon sehr viel Elend gesehen.
Backpfeifengesicht,
aber sowas wie Dich, nee da kommen mir die Tränen.

Guck nicht schräg! Schleich Dich weg! Mach hin!
Mir wird schlecht. Ich glaub ich muß gleich brechen gehen."
(Die Ärzte)

11.20 Uhr: Hosiannah! Mein Zimmernachbar ist weg. Was hat mich dieser Typ mit seiner Anwesenheit gequält. Mit seinem unsäglichen Geseiere über sein Leben, seinen Beruf und andere Nichtigkeiten. Und er gab keine Ruhe! Weder ließ er mich fernsehen, noch Musik hören, noch in Ruhe meine Einträge machen. Alles an ihm schrie: Schenk! Mir! Beachtung! Dabei hatte ich spätestens seit der Aussage "Wie? Du interessierst dich nicht für Fußball und für Motorsport?! Du bist doch nicht normal!" mehr Lust darauf, mir Nadeln in die Gehörgänge zu stechen, als diesem Idioten weiter zuzuhören.

Kann man den Krebs besiegt haben und trotzdem ein Versager sein? Es scheint so.

Heart of gold

9.50 Uhr: "Alles in Ordnung", sagte die Schwester, als sie mir den Befund der Echokardiographie in die Hand drückte. "Super Herz!" Sie reckte mir den erhobenen Daumen entgegen. Irgendwie rührten mich dieser Ausspruch und diese Geste, da ich mir für einen Moment den Gedanken gestattete, dass sie nicht nur mein physisches Herz gemeint hatte.

Donnerstag, 27. September 2007

Der Tunnel am Ende des Lichts

"Schubs mich nicht, weil ich am Abgrund stehe.
Ich frühstücke in der Apotheke."
(K.I.Z.)

21.15 Uhr: Menno! Ich hatte so einen schönen Depri-Text in der Hinterhand. Vor ein paar Stunden noch war meine Laune tief im Keller. In einem sehr dunklen, sehr staubigen Keller. Der Tod strich mir über die Wange, ich hörte das Blut in den Adern gluckern. Und jetzt? Bin ich bestens gelaunt. So gut sogar, dass jeder, der mich so sähe, annehmen müsste, ich spiele ihm was vor. Ich kann es selbst kaum fassen. Meine gute Laune kotzt mich an, ist doch jetzt mein trauriger Text passé... Nur noch der Titel ist übrig. Der ergibt doch jetzt gar keinen Sinn mehr!

Der Grund für mein Tief war übrigens die Nachricht, dass 1. die Hochdosis-Chemo früher losgeht, als gedacht und 2. ich nach den fünf Tagen, die ich jetzt Chemo kriege, nicht zwangsläufig sofort nach Hause darf. Ferner werde ich gleich drei Zyklen Hochdosis kriegen, was im Klartext bedeutet, dass ich die nächsten Monate fast ausschließlich im Krankenhaus verbringen werde. Mit ungewissem Ausgang. Ein Leben am Abgrund...

Den vorherigen Satz stelle ich mir ungefähr so intoniert vor, als sei für einen Trailer zum nächsten SAT.1-Movie gedacht. Mit übertriebenem Pathos und verlogenem Ernst. Ich bin die Parodie eines Krebskranken.

P.S. Neben all den Kapriolen auch mal eine Info: die Chemo läuft immer noch.

P.P.S. Ich frage mich, ob dieses Blog überhaupt seinen Zweck erfüllt. Fühlen sich meine Liebsten informiert? Oder nur unterhalten (und zwar schlecht)?

ZVK

"'Durchatmen! Denk an was Schönes! '-
'Ich kenn' nix Schönes!'"
(aus "Millionär" von Tommy Jaud)


15 Uhr: die Chemo geht los. Gott sei uns allen gnädig. Vorhin hat man mir einen sogenannten ZVK gelegt und ich kann sagen, dass die Buchstaben K und Z nicht umsonst die vorrangige Stellung in diesem Wort einnehmen...

Aber im Ernst: der zentrale Venenkatheter ist eine Art Schlauch, der weit in die Halsvene eingeführt wird und durch den mir die verschiedenen Flaschen und Beutel zugeführt werden. Die Einführung dieses Schlauchs fühlt sich unsagbar fies an, sieht aber wohl noch um einiges fieser aus. Und: es hört sich grauenvoll an, wenn man davon erzählt bekommt. Die Leute schütteln sich vor Ekel und Phantomschmerz. Das ist das einzige Lustige daran.

Der Arzt sagte mir hinterher, ich sei sehr tapfer gewesen. Einen Lolli habe ich nicht bekommen.

Persona non grata

7 Uhr: wenn der Typ neben mir nächste Nacht wieder so hustet, ersticke ich ihn mit einem Kissen.

Mittwoch, 26. September 2007

Zeittotschläger

"...straight from the harshness of misery..."
(Babyshambles)

21.20 Uhr: Müde bin ich und erschöpft und das Schreiben ist ach so anstrengend auf diesem "Multimedia-Gerät", wie man diese Kombination aus Fernseher, Radio, Telefon und Internet nennt, die jedem Kranken hier netterweise zur Verfügung gestellt wird. Gegen einen kleinen Obolus von täglich 4,40 Euro, wohlgemerkt. Das bloße Berichten über meinen Zustand, oder besser: meine Zustände, wird so schon zu einem Kraftakt. Doch wie soll ich dies auch noch mit Niveau bewerkstelligen? Dabei wollte ich doch mein Leid auf eine höhere Ebene hieven, es zu Literatur gerinnen lassen, weil es so vielleicht weniger schmerzt. Wie soll das erst werden, wenn ich meine "Chemodusche" (O-Ton Michael Lesch) kriege?

Egal. So oder so. Wenn Pete Doherty trotz massiver Drogensucht Alben aufnehmen, wenn ein Mensch ein ganzes Buch mit einem Augenlid diktieren kann, dann kann ich auch meine verdammten Einträge machen.

Obohl: heute könnte ich eigentlich mehr über Düsseldorfs Straßen, als über die Klinik berichten, da ich dort weitaus mehr Zeit verbracht, beziehungsweise tot geschlagen habe. Lieber noch werde ich aber das Deckmäntelchen des Schweigens über diese Avenuen ausbreiten. Meine Gedanken sind schon hässlich genug. Nur soviel: mein Zimmer war ewig nicht bezugsfertig, da dort vorher jemand mit einem , oh Schreck, "multiresistentem Erreger" gelegen hat. Das bedeutete: Grundreinigung für das Zimmer, Langeweile für mich. Ich bin dann ewig gelaufen, um irgendwo was zu essen. Es war ein weiter Weg bis mal in irgendeine Gegend kam, die mich nicht völlig abfuckte. Ach, und ein paar Untersuchungen wurden auch gemacht. Ich bin kerngesund! Bis auf den Krebs.

Jetzt liege ich hier und Kochsalzlösung fließt in mich hinein. Die Niere soll noch einmal richtig durchgespült werde. Ich werde heute wohl noch häufiger die sanitären Anlagen aufsuchen, wo ich dann sicherlich Gehaltvolleres absondere, als in diesem Text. Wäre dieses Blog ein Konzert, dann wäre der Eintrag hier sozusagen Soundcheck. Test Test. Könnt ihr mich hören? Test Test.

Dienstag, 25. September 2007

Chemo Police

"Here comes a delivery,
straight from the heart of my misery."
(Babyshambles)


Als der Sänger Warren Zevon bereits wusste, dass er seinen Krebs nicht überleben würde, sagte er in der David-Letterman-Show, sinngemäß, dass eine schwarze Limousine stets vor der Tür auf ihn warte, um ihn für immer mitzunehmen. Sozusagen die moderne Entsprechung zum mythologischen Charon, der die Toten in den Hades bringt. Er sagte weiterhin, dass er lernen müsse, dies zu lieben. Auf mich wartet diese Limousine noch nicht. Vor meiner Türe steht bloß die Chemo Police. Der Ort, an den sie mich bringen wird, ist alles andere als schön. Aber ich werde von dort wiederkehren.

Merkwürdigerweise bin ich momentan kein bisschen ängstlich; noch nicht einmal unwillig. Eher erfüllt mich ein geradezu schwachsinniges Hochgefühl. Wahrscheinlich kommt es davon, dass endlich wieder Bewegung in meine "Geschichte" kommt. Der Mensch ist ja ein progressives Wesen und tritt nicht gerne auf der Stelle. Nach einer Operation, drei Zyklen Chemo und einer Pause von gefühlten zehn Jahren passiert nun endlich wieder etwas. Nur kann ich mit einiger Sicherheit sagen, dass dieser positive Zustand in den nächsten Tagen in sich zusammenschmelzen wird und ich bald wieder zum Chemo-Psychopathen mutiere. Das werden unterhaltsame Tage für meine Leser. Schreckliche Tage für mich. Doch es ist, wie es ist: ich kann dazu nichts empfinden.