Montag, 1. Oktober 2007

Menschen, Chemo, Sensationen

Ich blogge live von der Chemo:

9.43 Uhr: Warten auf die Chemo ist wie warten auf die Hinrichtung. Gestern zog ich einen Vergleich zwischen Chemo und Frankenstein-Experimenten, aber heute fühle ich mich eher nach Todestrakt. Und ich schwanke zwischen Resignation und einem tiefen Unwillen, ja Ekel, vor dem, was gleich wieder in meine Adern gepumpt werden soll. Es ist Tag 5 des Zyklus. Hiernach werde ich erstmal wieder ein paar Tage meine Ruhe haben. Aber ich weiß jetzt schon, dass die kommenden Stunden sich ins Unendliche ausdehnen werden.

10.32 Uhr: Ein Mittel gegen Übelkeit bildet die erste Vorhut. Ich freue mich schon auf das nachfolgende Cortison. Das macht mich immer ein wenig high.

10.52 Uhr: Okay, das hatte ich mir jetzt besser vorgestellt. Ich hänge immer noch wie ein erloschener Stern in diesem viel zu kleinen Kosmos Krankenzimmer. Gerade eben läuft Kochsalzlösung in meine Halsvene. Das Gift lässt noch auf sich warten.

11.30 Uhr, Zwischenbericht aus dem Schützengraben: Immer noch keine Chemo. Ich spüre, wie der Terror durch mich meine Nervenbahnen zieht. Anflüge von Panik, ohne panische Gedanken zu haben. Angst als rein körperliches Symptom. Doch schon jetzt, im Moment des Aufschreibens, verflüchtigt sie sich wieder.

11.42 Uhr: Und wenn mir Vera in't Veen jetzt ihre "Helfer mit Herz" anschleppte, gäbe das Stoff für Abendnachrichten und ganz sicher nicht für ihre Sendung. (Ich sah gerade den Trailer für diese Sendung; es ist zum Kotzen).

11.50 Uhr: Was hier allerdings gerade angeschleppt wurde, ist das Mittagessen. Ebenfalls sehr geschmacklos.

12.18 Uhr: Wie man schon an den letzten beiden Einträgen erkennen kann, geht es mir gerade wieder erstaunlich gut. Ich kriege zwar immer noch keine Chemo, habe das wirkliche Tief also noch vor mir. Auf der anderen Seite habe ich jetzt eher das Gefühl, in der Grundverfassung zu sein, um das ganze durchzustehen. Es ist jetzt einfach mehr Substanz da zum "herunterzuwirtschaften". Zähneknirschend muss ich zugeben, dass Frühstück und Mittagessen, die ich mir widerwillig reingewürgt habe, wohl viel mit dieser positiven Entwicklung zu tun haben. Ein Tipp also an alle Chemopatienten: Nahrung ist euer Freund. Ein extrem hässlich anmutender Freund vielleicht, aber immerhin ein Freund.

13.06 Uhr: Was ist stressiger, als eine Chemo zu bekommen? Mitten in der Chemo verlegt zu werden! Es ist kaum zu glauben, aber mein Bett wird so dringend gebraucht, dass man mich jetzt noch in eine andere Station verlegt. Entweder vor dem ersten Beutel Chemo, was zu hoffen ist, oder erst danach. (Man war sich noch nicht sicher, wann mein neues Zimmer frei wird.) Danach wäre natürlich mies. Wie soll ich es ins andere Gebäude schaffen, wenn ich dann schon mit meiner bloßen Existenz überfordert bin?

13.12 Uhr: Eine gute Nachricht gibt es allerdings auch: Sollte mir meine Gesundheit nicht übelst in die Quere kommen, darf ich morgen erstmal nach Hause!

13.49 Uhr: Okay, so langsam sollte man mal anfangen, von einem Skandal zu sprechen... Ich soll jetzt gleich bereits mein Bett freigeben, obwohl das Bett auf der anderen Station noch nicht zur Verfügung steht. Das bedeutet für mich, dass ich mich, während die Chemo läuft (sie wurde gerade eben angehängt) in die Kaffeeküche setzen darf. Danach geht es erst ins neue Zimmer. Das Drama nimmt eine unerwartete Wendung zu Realsatire.

17.50 Uhr: Okay, der Umzug ist geglückt. Ich bin auch nur ein ganz kleines bisschen traumatisiert. Auch dank guter Freunde, die gerade bei mir sind. (In Wirklichkeit bin ich auch schon ein Momentchen länger hier, die drei halten mich bloß vom Schreiben ab).

20.20 Uhr: Nun gut, das war ja mal überhaupt nichts. Und wer ist schuld? Das Gesundheitssystem! Man hat mich aus meinem schönen Zimmer vertrieben und jetzt bin ich hier, in einem ekelhaften Betonklotz, bei einem siechenden alten Mann. Ein sogenanntes Original. Ich hasse Originale. Jetzt haben mich also der Umzug, der Besuch meiner Freunde und vor allem dieser röchelnde Typ davon abgehalten, euch die ultimative Chemo Experience zu vermitteln. Dabei ist läuft der Mist immer noch... Aber bei mir läuft nach all dem absolut gar nichts mehr. Willbloßschlafngutenacht.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

hoffe trotz geröchel und erinnernung an die gute alte zeit von deiner rechten findest du noch ruhe und einen erholsamen schlaf!!!!
ich denk an dich!!!!!
bis baaaaaaaaald
Anna